Johann Joseph Gronewald
Gründer und erster Direktor der ’Taubstummen-Anstalt zu Cöln’
Johann Joseph Gronewald [1], Gründer und erster Direktor der „Taubstummenanstalt zu Cöln“, prägte die Schule in besonderer Weise. Geboren wurde er am 4. März 1804 in Lindlar. Er verwaiste früh. Mit 18 Jahren trat er als Schulamtskandidat in den Schuldienst ein und wurde 1824 Seminarist des Lehrerseminars in Brühl bei Köln. Im Sinne der ’Verallgemeinerungsvorschläge’, damaligen „Bestrebungen, taubstumme Kinder [auf Grund der finanziellen Notlage] im Unterricht der Volksschule nach den hier geltenden Lehrgrundsätzen gemeinsam mit hörenden Schülern zu unterrichten“[2], ermöglichte das preußische Unterrichtsministerium die Abordnung junger Lehrer an die Berliner Taubstummenschule.
In einer zweijährigen Ausbildung sollten sie sich dort mit der Methode des Taubstummenunterrichts vertraut machen und so zusätzlich zur Lehrbefähigung für allgemeine Schulen die zur Unterrichtung Taubstummer erhalten. Im Jahre 1824 lernte Dr. Peter Schweitzer, Direktor des Lehrerseminars in Brühl, auf einer Studienreise die Berliner Taubstummenanstalt und die dort eingerichteten Ausbildungs-lehrgänge für Taubstummenlehrer kennen. Er beabsichtigte an seinem Lehrerseminar in Brühl die Methodik des Taubstummenunterrichts zu lehren und einen Seminarlehrer ausbilden zu lassen. Für die Zusatzausbildung schlug er den Seminaristen Johann Josef Gronewald vor, der dann von 1826 bis 1828 in Berlin zum Taubstummenlehrer ausgebildet wurde. Der Gründung einer Taubstummenanstalt in Hamburg zog Gronewald die Rückkehr in seine rheinische Heimat vor. Doch konnte er hier in seiner Eigenschaft als ausgebildeter Taubstummenlehrer nicht beschäftigt werden. Der Plan Dr. Schweitzers, dem Lehrerseminar in Brühl eine Seminar-Taubstummenschule anzugliedern, scheiterte an den Kosten. So übernahm Gronewald vorläufig in Köln eine Stelle als Lehrer an der neu errichteten Höheren Bürgerschule. Bald nach seinem Dienstantritt stellte Gronewald mit Hilfe des Konsistorialassessors Joseph Schmitz fest, dass in der Kölner Stadtgemeinde 14 Taubstumme lebten. Auf Wunsch der Regierung und der städtischen Behörde unterrichtete er ab 1. Dezember 1828 nebenamtlich in seiner Dienstwohnung drei dieser „Unglücklichen“ [3], zwei Jungen und ein Mädchen, soweit es sein Amt als Lehrer der Höheren Bürgerschule erlaubte. Zwei von nicht beschulten Taubstummen begangene schwere Verbrechen, die im August und Dezember des Jahres 1829 vor Gerichten in Köln und Aachen verhandelt wurden, zeigten und bestätigten im Sinne von Gronewald den hohen Wert und die dringende Notwendigkeit eines Unterrichts für Taubstumme. Um sich dem Taubstummenunterricht vermehrt widmen zu können, wurden ihm an der Höheren Bürgerschule einige Unterrichtsstunden erlassen. Infolgedessen erhöhte Gronewald 1830 die Zahl seiner taubstummen Schüler auf 8. Zu Beginn des Sommersemesters 1831 wurden ihm jedoch gewährte Vergünstigungen ganz unerwartet wieder entzogen. Mangels öffentlicher Mittel musste er den Taubstummenunterricht einstellen. Gronewald und der Konsistorialassessor Schmitz unternahmen alle erdenklichen Schritte zur Aufrechterhaltung des Taubstummenunterrichts und erreichten durch ihre Bemühungen schließlich, dass die Regierung die Vermittlung bei der Stadt Köln übernahm. Die Eltern, deren Kinder nun nicht mehr unterrichtet wurden, hatten den Erfolg und die positive Einwirkung auf ihre Kinder erkannt. Zusammen mit denjenigen Eltern, die die Aufnahme ihrer Kinder dringend wünschten, wandten auch sie sich mit Erfolg bis an die höchsten Behörden, um den Unterricht wieder zu ermöglichen. Das Oberbürgermeisteramt der Stadt Köln zahlte an die Regierung das nötige Geld, um einen Gronewald zunächst teilweise vertretenden Lehrer an der Höheren Bürgerschule einzustellen. Die Städtische Armenverwaltung stellte im ehemaligen Minoritenkloster Räume als Schullokal für den Unterricht Taubstummer zur Verfügung. Hier nahm Gronewald nach 7 Monaten Unterbrechung am 22. November 1831 mit 10 taubstummen Schülern den Unterricht endgültig wieder auf. Seit jenem Tag besteht die Schule als Institution ohne Unterbrechung. Dieses Datum, der 22. November 1831, gilt als Gründungstag der Kölner Taubstummenanstalt, obgleich ihre Anfänge bis auf den 1. Dezember 1828 zurückgehen. „Sie war die achte Anstalt in der Reihenfolge der Gründungen von Taubstummenanstalten in Preußen…In der damaligen Rheinprovinz war sie die erste und ist damit die älteste der jetzigen [Rheinischen Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation] in diesem Gebiet.“ [4] Ostern 1832 wurde Gronewald von allen Verpflichtungen als Lehrer der Höheren Bürgerschule entbunden und konnte sich von da an voll dem Taubstummenunterricht widmen. 1831 hatte die Schule 10 Schüler/innen, 1833 waren es bereits 19. Die Zahlen stiegen stetig und erreichten 1867 70 Schüler/innen, die von fünf Lehrern unterrichtet wurden. Die Mehrzahl der Kinder wohnte in Kölner Familien. Die Unterbringung organisierte Gronewald selbst. Seine guten Verbindungen zu Kölner Familien erleichterten ihm das.
Doch der Bestand der neuen Schule war von Anfang an finanziell nicht gesichert. Die Erschöpfung der vorhandenen Mittel war vorauszusehen. Weitere Zuwendungen von Seiten der städtischen Behörde erschienen ausgeschlossen, da die Stadt Köln durch die 1831 erfolgte Aufhebung des Stapelrechts in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Auch vom Staat waren keine Zuwendungen zu erwarten. Das Ministerium hatte die für die Zwecke des Taubstummenunterrichts bisher gewährten Unterstützungen eingeschränkt und drängte, im Sinne der Verallgemeinerungsbestrebungen, auf Anschluss des Taubstummenunterrichts an den Elementarunterricht. Die Eltern der Schüler waren durchweg mittellos. Doch Gronewalds „Liebe zum taubstummen Kinde und völlige Hingabe an seinen Beruf ließen ihn […] seine Sache nicht aufgeben.“ [5] In wachsendem Maße war er auf private Finanzhilfe aus der Kölner Bürgerschaft angewiesen.
Der Unterrichtsbesuch des Stadtrats und späteren Regierungspräsidenten Heinrich von Wittgenstein am 13. Januar 1832 sollte sich als denkwürdiger Tag für den Bestand und die Weiterentwicklung der Schule erweisen. Von Wittgenstein erkannte, „daß Taubstumme infolge ausbleibender Sprachentwicklung in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihrer sozialen Kommunikation außerordentlich behindert sind und zur Behebung bzw. Linderung dieses tief greifenden Handikaps eigengesetzlicher Bildungs- und Ausbildungsmethoden bedürfen.“ [6] Er bewertete Gronewalds Unterrichts- und Sozialarbeit als förderungswürdige Eingliederungshilfe für Taubstumme und beschloss, ihn zu unterstützen. Von Wittgenstein fasste den Entschluss, durch geeignete Mittel, namentlich durch Bildung eines Unterstützungsvereins, den Fortbestand der Anstalt zu sichern.
Eine am 17. Mai 1832 an einzelne Personen gerichtete schriftliche Bitte um Unterstützung hatte namhafte Zeichnungen zur Folge. Am 26. Juni desselben Jahres erschien dann eine öffentliche Aufforderung zur Bildung eines Vereins zur ’Beförderung des Taubstummenunterrichts’. Zahlreiche Unterschriften bewiesen das Interesse an der Gründung des Vereins. So kam es, auf Initiative von Wittgensteins, am 6. September 1832 zur Gründung des ’Vereins zur Beförderung des Taubstummenunterrichts’, der bezweckte, eine möglichst vollständige Ausbildung taubstummer Kinder sowie die spätere Versorgung dieser Kinder zu erwirken. Regierungspräsident Heinrich von Wittgenstein fühlte sich sein ganzes Leben lang der Schule verbunden. Er und Gronewald pflegten eine lebenslange Freundschaft. Der Verein sicherte nicht nur den Bestand der Schule, sondern stattete sie in den nächsten 70 Jahren als Schulträger reichlich aus und unterstützt die Schule bis heute. Um 1900 konnte der Verein den Finanzbedarf der Anstalt jedoch kaum noch aufbringen. Der Provinzialverband der Rheinprovinz übernahm ab 1. April 1903 die Einrichtungen und das Personal des Vereins als ’Provinzial-Taubstummenanstalt Köln’. Nach der Übergabe der Schulträgerschaft setzte der Verein sein übriges Vermögen für schulentlassene Taubstumme ein und führte daher ab 1905 den Namen ’Verein zur Beförderung des Taubstummenunterrichts und des Wohles der entlassenen Zöglinge’, der 1926 in ’Verein Taubstummenhilfe Köln’ umbenannt wurde. In den 30er Jahren gelang es, die drohende Vereinnahmung des Vereinsvermögens durch die NS-Volkswohlfahrt zu umgehen, so dass es die 1959 neu gegründete ’Stiftung Verein Taubstummenhilfe in Köln e. V.’ wieder übernehmen konnte. Um aus dem Unterricht mit Taubstummen an anderen Schulen Anregungen für den eigenen Unterricht zu erhalten, reiste Gronewald in den ersten Jahren nach Soest, Büren und Münster. Auch die Kölner Anstalt wurde häufig besucht. In seinem Bericht über die Reise nach Münster richtete Gronewald im Einvernehmen mit Dr. Weidner, dem Leiter der Schule in Münster einen Aufruf an alle Taubstummenlehrer und an das ’Hohe Unterrichtsministerium’: „Taubstumme Kinder können nicht mit hörenden Kindern zusammen unterrichtet werden. In diesen Schulen wird der Hauptgegenstand, nämlich die Sprache, nicht gelehrt, sondern es wird nur beiläufig daran gebessert und dem Bewußtsein mehr genähert. Eigene Schulen für Taubstumme sind nötig, diese sollten in großen Städten sein. Der Taubstummenlehrer muß eine besondere Qualifikation besitzen.“[7] Spätere Reisen führten Gronewald zu Taubstummenanstalten in Bayreuth, Schwäbisch-Gmünd, Würzburg, Frankenthal und Ansbach. Bezeichnend für Gronewalds Charakter ist etwa, „daß er dem Verein [1834] 13 Taler und 17 Silbergroschen erspartes Reisegeld zurückerstattete“[8] und ab 1847 jährlich seine Gehaltserhöhung als ungenannter Spender dem Verein zukommen ließ. In Anerkennung seiner Tätigkeit hatte der Verein Gronewald bei Beratungen des Haushaltungsetats für 1845 eine Gehaltserhöhung von 600 auf 800 Taler zugedacht. Gronewald aber hatte „entschieden abgelehnt, seit 1847 jedoch, behufs Sicherstellung seines Anspruchs auf eine angemessene Pension, nachgegeben, dass seine Besoldung im Etat mit 800 Talern in Ausgabe geführt werde. Dass seit jener Zeit unter den vereinnahmten Liebesgaben alljährlich ein Geschenk von 200 Talern seitens eines Ungenannten erscheint, ist eine Tatsache, welche wir als mit diesem Verhältnisse in Verbindung stehend bezeichnen müssen.“[9] 1851, 20 Jahre nach der Eröffnung seiner Taubstummenanstalt in Köln, wurde Gronewald mit dem ’Rothen Adlerorden IV. Klasse’ ausgezeichnet. 1848 wurde Nikolaus Weißweiler, späterer Nachfolger Gronewalds, als 5. Lehrer an die Schule berufen, um Gronewald auf Grund seiner gesundheitlichen Angegriffenheit, „seit 1848 brustleidend“ [10] , zu entlasten. In den letzten Jahren musste Gronewald den Unterricht aufgeben und sich auf seine Arbeit als Anstaltsleiter beschränken. Gronewald überlebte seinen Gönner und Freund Heinrich von Wittgenstein nur um einige Jahre. Der Tod von Wittgensteins am 29. März 1869, „mit dem er sich täglich über das Wohl und Wehe der Anstalt besprochen und in dessen Hause er, der einsame Junggeselle, ein zweites Heim gefunden hatte, traf ihn schwer und brach seine Lebenskraft völlig.“ [11] Gronewald starb am 28. August 1873 im Alter von 69 Jahren. „Noch über sein Leben hinaus sorgte er väterlich für die Anstalt, für welche er einzig gestrebt. Unverheiratet, hatte er bei überaus sparsamer Lebensweise gegen 25000 Taler zurückgelegt, die er abzüglich einiger kleiner Legate seiner Anstalt hinterließ.“ [12] Von seiner Beerdigung wird im 12. Jahresbericht des Vereins wie folgt berichtet: „Die große Teilnahme, welche sich in der ganzen Stadt bei seinem Verscheiden kundgab, zeigte, dass Köln sich der Größe des Verlustes wohl bewusst war. Am 1. September 1873 gegen Mittag bewegte sich ein stattlicher Leichenzug dem Friedhofe zu, um die sterblichen Reste dessen, der diese Anstalt, die erste in unserer Provinz, gründete und im Laufe der Zeit durch stilles, emsiges Streben zu der jetzigen Blüte erhob, zur letzten Ruhestätte zu begleiten. Man brachte einen Mann zu Grabe, der bei der größten Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit vielen Hunderten von Unglücklichen Trost, Licht und Führer geworden ist und so zur Ehre Gottes und zum Heile der Menschen Großes gewirkt hat.“ [13] Die städtische Verwaltung ehrte das Andenken Gronewalds durch Stiftung einer „Grabstätte für ewige Zeiten [und bewilligte einen bedeutenden Beitrag] zur Errichtung eines seiner würdigen Denkmals auf dem Friedhofe.“ [14] Das Ehrengrab auf dem Friedhof Melaten zeigt ’Die Heilung des Taubstummen’ durch Christus und die Inschrift: „Zur Erinnerung an die aufopfernde Nächstenliebe, zu welcher er Thätigkeit und Vermögen dem Wohle der Taubstummen widmete, setzen ihm dieses Denkmal die Stadt Cöln, die Taubstummenschule und seine Freunde.“ [15]
Quellenverzeichnis
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1 Die Informationen aus diesem Artikel entstammen größtenteils den Festschriften zum 100-jährigen und 150-jährigen Bestehen der Schule sowie einem Artikel anlässlich des Todes von Gronewald in der Kölnischen Volkszeitung, Nr.249 vom 9.September 1873.
2 Jussen, Heribert: Ziele, Aufgaben und Organisationsformen der Gehörlosenpädagogik und der Schwerhörigenpädagogik. In: Jussen, Prof. Dr. Heribert / Kröhnert, Prof. Dr. Otto (Hrsg.): Handbuch der Sonderpädagogik, Pädagogik der Gehörlosen und Schwerhörigen, S.81-131, S.84. Berlin 1982.
3 Lehrerkollegium der Provinzial-Taubstummenanstalt (Hrsg.): Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Taubstummen-Anstalt zu Köln 1831-1931, S.15. Köln 1931; nachfolgend aufgeführt als: Festschrift.
4 Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.): Rheinische Landesschule für Gehörlose Köln, 150 Jahre, S.8. Köln 1981; nachfolgend aufgeführt als: Rheinische Landesschule für Gehörlose.
5 Festschrift, S.16. Köln 1931.
6 Rheinische Landesschule für Gehörlose Köln, S.16. Köln 1981.
7 Rheinische Landesschule für Gehörlose Köln, S.10. Köln 1981.
8 Wiechmann, Wilhelm: Werden und Wirken der ’Stiftung Taubstummenhilfe in Köln’, S.3.O.J. In: Rheinische Landesschule für Gehörlose Köln, S.16. Köln 1981.
9 6.Jahresbericht [des Vereins], S.10. In: Lehrerkollegium der Provinzial-Taubstummenanstalt (Hrsg.): Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Taubstummen-Anstalt zu Köln 1831-1931, S.22. Köln 1931.
10 Festschrift, S.23. Köln 1931.
11 Festschrift, S.23. Köln 1931.
12 8.Jahresbericht [des Vereins], S.10. In: Lehrerkollegium der Provinzial-Taubstummenanstalt (Hrsg.): Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Taubstummen-Anstalt zu Köln 1831-1931, S.23. Köln 1931.
13 Festschrift, S.23. Köln 1931.
14 Festschrift, S.23 u. 24. Köln 1931.
15 Abt, Josef / Vomm, W.: Der Kölner Friedhof Melaten. Köln 1980, S. 166. In: Jubiläumsfeier der Heilpädagogischen Fakultät am 22. Juni 2005, Festvortrag Heribert Jussen: 50 Jahre wissenschaftlicher Fortschritt, Forschung und Lehre an der Heilpädagogischen Fakultät zu Köln, S. 3.